Vom Aufstand der Zeichen Teil 2

Manche Graffiti wie jene mit Schablone gesprühten Mao-Portraits, von denen ich bereits sprach, und die immer noch mancherorts hier in den Straßen in Kreuzberg zu sehen sind, überdauern die Jahre. Andere hingegen werden bald darauf wieder entfernt, übermalt.

Von den Losungen und Parolen und den einfachen, rasch mit wenigen Punkten und Strichen erstellten Bildern, die wir damals an Mauern und Häuserwände gesprüht hatten, ist wohl nichts mehr erhalten geblieben. Jedenfalls habe ich weder hier, in der Wrangelstraße und der Gegend um das Schlesische Tor herum, noch anderswo in den letzten Jahren mehr eine Spur davon zu entdecken vermocht.

Doch nach all dieser Zeit wüsste ich heute auch nicht mehr mit Gewissheit zu sagen, wo an welchen Stellen genau, welchen Straßen und Plätzen der Stadt wir gewesen waren und wo ich im Einzelnen noch danach suchen müsste.

Manche Orte aber, an die ich mich noch entsinnen kann, wie die leer stehenden alten Bahn-Gebäude an den Gleisen des Südgeländes habe ich schon seit Jahren nicht mehr besucht

So weiß ich nicht einmal mit Gewissheit zu sagen, ob man sie nicht vielleicht längst in der Zwischenzeit abgerissen hat.

In Gedanken suche ich die Erinnerung an jene nächtlichen Treffen mit Carolin, an die Stunden, das Warten auf die Dunkelheit und die Zeit wenn die Straßen schließlich leer genug waren, um ungestört handeln zu können.

Ich erinnere mich an die Vorbereitungen, an das Zuschneiden der Schablonen, das Geräusch, das beim Schütteln der Dosen entstand.

Ich erinnere mich an den Farbnebel beim Sprühen, den Geruch der frischen Farbe und die selbst gedrehten Zigaretten, die Carolin im Gehen angezündet, angeraucht und mir danach gereicht hatte, und an denen mitunter eine winzige Spur roten Lippenstifts haftete.

Und ich erinnere mich an die Spannung und an die in der Aufregung stockenden, knappen Gespräche, an den Rausch, das Gefühl der Gefahr und des möglichen Entdecktwerdens und zugleich das Gefühl der Verbundenheit und des unbedingten Vertrauens, wenn ich Carolin hinter mir wusste, die die Straße im Auge behielt, während ich mit der Sprühdose arbeitete.

Deutlich ist mir die Sorge im Gedächtnis geblieben, die ich damals jedes Mal dann empfand, wenn ich selbst hinter Carolin stand und nach allen Seiten hin Ausschau hielt und aufpasste, während sie eine Graffiti an die Wand sprühte.

Und klar, so als läge all das nicht bereits mehr als zwei Jahrzehnte zurück, sehe ich dabei jenes Bild vor mir, Carolin und mich selbst: fieberhaft und übernächtigt, zuversichtlich und jung. . .

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