Osram Letzter Teil

Über die persönlichen Lebensumstände und Schicksale jener anderen Arbeiterinnen und Arbeiter habe ich so damals kaum etwas erfahren. Doch ich habe die Müdigkeit und die Leere gesehen, die die eintönige Arbeit am Band in ihren Mienen und Blicken hinterließ.

Entfremdete Arbeit bedeutete in diesem Zusammenhang nicht allein, immer nur einen winzigen Teilschritt innerhalb der Produktion auszuführen und womöglich den ganzen Tag über nur einen einzigen immer gleichen Handgriff auszuführen. Sie bedeutete zugleich fremd zu sein auch im sonstigen Alltag, im Leben.

Denn jene innere Leere, die auch ich bei der Arbeit am Band empfunden hatte, hatte sich keineswegs nur allein auf die Stunden der Arbeit bezogen, an die ich oftmals keine wirkliche Erinnerung mehr besaß, wenn ich hinterher benommen und wie betäubt die Fabrik verließ und auf die Straße hinaus trat.

Vielmehr wirkte sie zugleich auch in das Kommende, in den restlichen Tag hinein. So hatte ich danach oftmals weder die Konzentration dafür aufbringen können, um noch etwas Anspruchsvolleres zu lesen, noch die Kraft und den Antrieb dazu, irgendetwas anderes zu tun.

Stattdessen hatte ich eine seltsame Fühllosigkeit gegenüber den Ereignissen und Dingen um mich herum verspürt, so als läge die übrige Welt, das Geschehen darin von mir abgelöst, abgetrennt hinter Glas. . .

Nach der Logik, den Regeln des Marktes wurden diese Arbeiterinnen und Arbeiter für jene furchtbar monotone, meist auch physisch anstrengende und zugleich die Gesundheit angreifende Arbeit, der sie Tag für Tag ausgesetzt waren, weder durch einen besseren Lohn entschädigt, noch durch Freizeitausgleich oder längeren Urlaub.

Auf der anderen Seite aber erhielten jene, die das Privileg besaßen, innerhalb der Gesellschaft einer anspruchsvolleren, abwechslungsreicheren und vielseitigeren Tätigkeit nachgehen zu dürfen, einer Arbeit, die sie ebenfalls anstrengen, stark beanspruchen und ermüden mochte, aber in ihrem Innersten dabei unzerstört ließ, dafür gleichzeitig auch die höheren Gehälter.

So waren die Fließbandarbeiter gleich in mehrfacher Hinsicht bestraft gewesen, wie ich damals empfand: durch die körperlichen und psychischen Folgen ihrer Arbeit, durch geringe, gerade einmal zum Leben ausreichende Löhne und ein ebenso geringes soziales Ansehen. . .

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