Vom Leben als Kunstwerk Teil 2

Wie aber konnte nun jene gedachte Verschmelzung von Leben und Kunst ganz konkret in der Wirklichkeit aussehen? Denn es sollte sich hierbei ja um eine vollkommene Revolutionierung, eine völlige Neugestaltung des Alltäglichen handeln.

Also konnte damit weder gemeint sein, die verfügbare Zeit, die man hatte, ganz und gar der Beschäftigung mit der Kunst zu widmen und die Lücke, die Kluft hin zum übrigen Leben auf diesem Wege zu schließen, noch konnte es darum gehen, sich in unmittelbarer Weise selbst zum Gegenstand der Kunst zu machen.

Denn dies wiederum konnte, so dachte ich, letztendlich nur auf eine bloße Selbstinszenierung der eigenen Person und Persönlichkeit hinauslaufen: eine Geste also, die im gleichen Maße eitel und egozentrisch angelegt war, und die sich zudem allzu rasch abnutzen und ermüden musste, sich nicht jeden Tag neu erfinden und wiederholen ließ.

Wie also anfangen und womit beginnen?, hatte ich mich gefragt. Und wie konnte sich überhaupt jener anvisierte Zustand, jenes leidenschaftliche Leben, von dem die Situationisten gesprochen hatten, mit einem so nüchternen Begriff wie dem der Konstruktion verbinden und vereinbaren lassen?

Michael hatte damals begonnen, mit neuen und gemeinschaftlichen Aktionen und Kunstformen zu experimentieren, dem Konzept einer kollektiven und anonymen Kunst. Er und mit ihm eine weitere Handvoll von Studenten aus seiner Malklasse hatten aufgehört damit, ihre Bilder zu signieren, hatten Fotokopien davon angefertigt, vervielfältigt und verteilt und die Originale vernichtet, hatten die von ihnen herausgegebenen und in winzigen Auflagen erscheinenden Fanzines unter wechselnden Pseudonymen veröffentlicht und verbreitet.

Doch ich selbst hatte das Kernproblem damals weniger in der Form künstlerischer Arbeit, ihrer Kommerzialisierung und Vermarktung, in den möglichen Darstellungs- und Verbreitungsformen von Kunst zu erkennen geglaubt, als vielmehr in den äußeren Schranken und Vorgaben unserer täglichen Wirklichkeit selbst.

Denn was trennte mich selbst, trennte uns alle von jenem möglichen anderen Leben, wenn nicht im Voraus schon vorgezeichnete Lebensläufe- und Entwürfe, wenn nicht Regeln und Übereinkünfte, Normen und Konventionen, Langeweile, Gleichlauf und Routine.

Dies alles aber, so glaubte ich, galt es zu überschreiten . . .

Vom Leben als Kunstwerk – Fortsetzung

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