Letzter Bahnhof Berlin-West

Die Adresse, die Carolin mir genannt hatte, lag im Wedding, nur ein kurzes Stück von der U-Bahn entfernt, wie ich auf dem Stadtplan gesehen hatte, nahe der Mauer.

Das Programm sollte bereits am frühen Abend beginnen, hatte sie mir am Telefon erzählt. Ich selbst jedoch wollte nicht allzu früh und als einer der Ersten dort eintreffen und war deshalb erst etwas später aufgebrochen, gerade rechtzeitig noch, wie ich hoffte, bevor der Lärm, das Getöse draußen, das seit Einbruch der Dunkelheit stetig anwuchs, mit aller Macht losbrechen würde.

Draußen auf dem Wege zur U-Bahn hatte mich das Krachen, Heulen und Zischen indes bereits dicht umfangen.

Schon waren Straßen und Gehwege mit den ausgebrannten, zerplatzten und noch schwelenden Überresten von Knallern und Raketen übersät gewesen, sah man überall auf dem Boden verstreut die zerissenen Packungen und Papiere der Böller.

Und in der Luft hatte ich sogleich jenen unverkennbaren schon von Kindheit an vertrauten Geruch von abgebranntem Feuerwerk verspürt, wie an jedem letzten Abend eines Jahres.

Am Kottbusser Tor musste ich in den Zug Richtung Osloer Straße steigen, der ein ganzes Stück der Strecke durch den Osten fuhr, und an der nächsten Station war die Stimme des Zugabfertigers über Lautsprecher erschallt, bevor die Türen sich wieder schlossen: „Moritzplatz. Letzter Bahnhof Berlin-West. Letzter Bahnhof-Berlin-West.“

Im Weiterfahren hatte ich in die Dunkelheit hinein gespäht, in das schummrige trübe Licht auf den Bahnsteigen, während die Bahn mit gebremsten, stark verlangsamten Tempo ohne anzuhalten die verlassenen Geisterbahnhöfe in Ost-Berlin durchquerte.

Mitunter konnte man die einsamen Gestalten der dort wach habenden Vopos in ihren Uniformen ganz deutlich erkennen, manchmal konnte man sie auch nur erahnen. Über mir, eine Stahltür nur, ein paar Treppenstufen und Meter entfernt und doch vollkommen unerreichbar und fern aber floss das andere Leben.

Autos fuhren, Menschen gingen dort auf der Straße. War es ihnen bewusst, das wir gerade in diesem Moment unter ihnen entlang fuhren, von einem Teil West-Berlins hin zum anderen, durch ein Niemandsland, in dem die Zeit, die Geschichte, die Gegenwart still standen?

Und was wäre, hatte ich wie so oft gedacht, während ich auf die alten und im Vorüberfahren nur schemenhaft zu erkennenden Schilder mit den Namen der U-Bahnstationen blickte, was würde geschehen, wenn der Zug plötzlich unvermittelt dort anhalten würde, an der Jannowitz-Brücke oder am Alexanderplatz, schon im kommenden Augenblick, gleich . . .

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