„Im Leben des Menschen gibt es zwei Gefängnisse“, hatte Andreas damals während eines unserer Pausengespräche im Klinikum zu mir gesagt: “die Vergangenheit und die Zukunft.“ Ein Satz, der wohl ursprünglich von einem Zen-Meister stammte, von dem Andreas mir seinerzeit erzählt hatte, an dessen Namen ich mich jedoch nicht mehr erinnere.
Die Worte selbst aber sind mir über die Jahre hinweg im Gedächtnis geblieben. Und sie haben im Laufe der Zeit dabei eine wechselnde, immer wieder andere Bedeutung angenommen, andere Fragen für mich aufgeworfen, andere Antworten darauf nach sich gezogen.
Heute denke ich, dass das Ungelöste und das Uneingelöste innerhalb des Vergangenen und die Hoffnungen, Ängste und Erwartungen, die wir mit dem noch Kommenden verbinden, es sind, die uns in unserer Gegenwart, unserem Leben gefangen nehmen.
Die Zukunft selbst jedoch ist offen. Und auch die Vergangenheit ist nichts Feststehendes. Denn auch das Zurückliegende, schon Geschehene muss immer wieder von neuem gefunden, geordnet, neu erzählt werden. . .
Damals, als ich mich in jener ersten Wohnung in der Wrangelstraße einzurichten begann, war ein großer Teil meiner Sachen und Habseligkeiten, die ich zuvor besessen hatte, wie gesagt, in meiner Abwesenheit während ich mich auf Reisen befand verloren gegangen.
Anderes habe ich später selbst weg geworfen oder aber verbrannt, angefangene und nie fertig gewordene Manuskripte, einen ganzen Karton voller Zeichnungen und Notizen, alter Fotografien, Postkarten und Briefe.
Die Vorstellung, der Gedanke, der mich dabei bewegt hatte, war gewesen, mich von allen Dingen, die mich allzusehr an das Vergangene binden mochten, befreien zu wollen.
Und vielleicht hatte ich auch gehofft, jener Müdigkeit, die mich selbst, meine Gegenwart damals umschloss, zu entrinnen, wenn ich nur den Ballast, der mein Leben, so schien es mir, beschwerte, hinter mir ließ.
Doch der Augenblick, das Gefühl der Befreiung, das ich damals empfand, war nur kurz. Und die Hoffnungen und Erwartungen, die ich insgeheim damit verbunden hatte, hatten sich nicht erfüllt.
Manchmal hätte ich gerne noch einmal eine jener Zeichnungen in die Hand genommen oder einen der Briefe gelesen, auch heute noch, jetzt. Dennoch habe ich diesen Schritt späterhin niemals wirklich bereut. . .