Eine Liebesgeschichte in Kreuzberg Teil 4

Als Hermann ein paar Tage darauf um die Mittagszeit wieder vor dem Imbiss hält, scheint dort alles zunächst genau so zu sein wie immer. Doch bereits beim Hereinkommen überkommt ihn ein seltsames Gefühl.  Drinnen ist es leer. Lena steht ganz allein hinterm Tresen, sie lächelt . . .

Lena fragt Hermann, ob er ihr vielleicht einen kurzen Moment helfen könne. Er folgt ihr in den hinteren Lagerraum, in dem mehrere Stapel mit großen Kartons stehen. Lena steigt auf die Leiter, so wie in seinem Traum. Er reicht ihr die Kartons hinauf. Da beginnt Lenas Leiter zu schwanken.

Hermann fängt sie auf. Er hält sie in den Armen, beide stehen sich gegenüber, beide sehen sich an. Doch der Augenblick geht an ihnen vorüber.

Lena lächelt und bedankt sich bei ihm. Hermann nickt zerstreut: “Kein Problem”. Da betritt schon ein  neuer Gast den Imbiss.  Lena schaut Hermann an und fragt ihn in gewohntem Ton, so als wäre zuvor nichts geschehen: “Und was darfs heute sein?  So wie immer?”

Hermann ist noch immer verwirrt. Trübe lächelnd lenkt er seinen Tankwagen. Gedankenverloren zieht er sich nach Feierabend um. Thinh, der seinen Zustand bemerkt, versucht ihn deshalb auf den Arm zu nehmen, doch er sieht und er hört gar nicht hin.

Hermann steigt in sein Auto, ist bereits auf dem Heimweg, als er sich plötzlich anders besinnt. Er kehrt um, fährt noch einmal zum Imbiss.

Beim Hineingehen klopft sein Herz. Lena schaut überrascht zu ihm hin. Ihre Blicke begegnen sich. Hermann tritt auf sie zu.

“Was ich eigentlich noch fragen wollte” beginnt er mühsam, stockend, “Ich mein nur falls du zufällig Zeit hast und Lust mal vielleicht etwas zu unternehmen.”

“Unternehmen?” fragt Lena, die das deutsche Wort nicht versteht, etwas unsicher. “Na ich mein halt vielleicht mal ins Kino gehen”, sagt Hermann und als sie darauf nichts erwidert, fügt er noch hinzu, “oder irgendwo etwas essen.”

Hermann schaut sie an. Eine qualvolle lange Sekunde vergeht. Doch dann antwortet Lena, die nicht minder unsicher und aufgeregt ist als er, Sonntags habe sie frei . . .

Am Sonntag trägt Hermann seine gute Hose und dazu ein etwas steif wirkendes Hemd. Aufgekratzt und nervös schaut er auf die Bahnsteigsuhr am S-Bahnhof Treptow. Suchend streift sein Blick die Gesichter der Menschen, die dem gerade eingefahrenen Zug entsteigen. Da entdeckt er schließlich Lena am anderen Ende des Bahnsteigs.

Lena trägt ein leichtes Sommerkleid. Als sie Hermann erkennt, winkt sie ihm lächelnd zu. Hermann, der einen Augenblick über zögert und schwankt, wie er Lena begrüßen soll, reicht ihr ungelenk die Hand.

Lang zurück bereits liegt die letzte Verabredung, an die er sich erinnern kann. Fremd und unbekannt wirkt auch Lena, die er noch nie außerhalb des Imbisses gesehen hat. Und so ist Hermann, der nicht weiß, was er sagen soll, unsicher und ein wenig verlegen als sie nebeneinander am Spreeufer entlanggehen.

Lena an seiner Seite aber scheint es nicht zu stören. Es herrscht strahlender Sonnenschein. Blinzelnd schaut sie aufs Wasser, auf dem gerade ein Ausflugsdampfer vorbeifährt. In der Ferne sieht man die Gondeln des Riesenrads im Plänterwald.

Lena deutet darauf mit dem Finger: “Ah, wie sagt man auf Deutsch?”, fragt sie. “Riesenrad” erklärt Hermann. Lena wiederholt das Wort: “Riesenrad.”

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