In seinem einige Jahre zuvor erschienenen Aufsatz über den Aufstand der Zeichen hatte Jean Baudrillard bereits über die subversive Wirkung von Graffiti in den Städten Amerikas geschrieben und über die dadurch ausgelöste Unterwanderung der bestehenden Ordnung.
Anders jedoch als Baudrillard hatte ich in einigen jener Schriftzüge, Bilder und Hieroglyphen in den Straßen New Yorks etwas Weitergehenderes zu erkennen geglaubt, als bloß leere Signifikanten.
Sie erschienen mir vielmehr wie Vorboten einer neuartigen und zugleich wie Fragmente einer wieder gefundenen und im Grunde viel älteren und elementareren Sprache . . .
Denn viele dieser einfachen, rasch mit wenigen Punkten und Strichen mit Markern oder Sprühdosen auf den Mauern und Wänden hinterlassenen Zeichen und Bilder erinnerten mich an die Höhlenmalereien prähistorischer Zeiten, frühe Schriftzeichen, Chiffren und Symbole.
In dieser keineswegs also leeren, sondern, wie mir schien, nur verschlüsselten und noch unentzifferten Zeichensprache und Schrift fanden sich so gewissermaßen die Botschaften und Spuren neuer urbaner Sammler und Jäger. Und mit ihnen die Hinweise auf eine begonnene Wiederaneignung und Rückeroberung des städtischen Raumes.
Ich aber hatte die Straßen Manhattans auf der Suche nach weiteren dieser Spuren abgesucht und durchquert, wie ein Ärchaologe oder ein Ethnologe auf der Suche nach Hinweisen auf einen irgendwo im Verborgenen lebenden und bislang noch unbekannten neuen Stamm.
Und ich hatte die Stadt in ihrer fieberhaften Betriebsamkeit, ihrer rauschhaften Größe und Schönheit, ihren Straßenschluchten, Gebäuden, unterirdischen Tunneln, zugleich wie einen einzigen und zusammen hängenden lebenden Organismus wahrgenommen: einen Körper, der atmet, dessen Herz pocht und schlägt und dessen Blut warm in den Adern pulsiert.
So hatte ich in New York, wie ich damals geglaubt hatte, einen Blick in die kommende Zeit getan. Und zugleich auch nach Hinweisen auf die eigene Zukunft gesucht, auf mein eigenes künftiges Leben. . .