Vom Leben als Kunstwerk Teil 8

Anders als Martin es damals wahrgenommen hatte, hatte ich jene vor unseren Augen gespielte und in der Tat täuschend echt simulierte dramatische Szene in der O-Bar in erster Linie als Möglichkeit und als interessante Option betrachtet.

Und während dabei in Martins Augen die Grenze des Zulässigen überschritten worden war, hatte ich selbst die Frage nach der Legitimität einer solchen künstlerischen Aktion weniger grundsätzlich betrachtet als er, sondern vielmehr von den jeweiligen damit verbundenen Zwecken und Zielen abhängig gemacht.

Eine Intervention in reale Situationen des Alltags mit den Mitteln des Unsichtbaren Theaters schien mir insbesondere dort gerechtfertigt, wo es galt die bestehende Wirklichkeit zu durchbrechen und in Frage zu stellen, wo es galt aufzuklären, zu verändern.

So hatte ich, der ich mich bislang wenig mit Theater und Schauspiel befasst hatte, mich mit einem Mal nun für beides zu interessieren begonnen. . .

Auch darüber hatte ich seinerzeit Martin gegenüber geschwiegen. Denn er hätte darin, wie ich bereits vorauszusehen glaubte, sicher nur eine Laune erblickt, einen Ausdruck meiner eigentlichen Unentschlossenheit und Ziellosigkeit, einen mehr oder weniger zufällig unternommenen und vermutlich nur kurzlebigen weiteren neuen Versuch im Künstlerischen.

Ich aber hatte in Stanislawskis Buch über Die Arbeit des Schauspielers an sich selbst nicht allein eine Anleitung zum Schauspiel gesehen, sondern mehr als das, einen Anlass und Weg um die unterschiedlichen Möglichkeiten, Eigenschaften und Facetten meiner eigenen Persönlichkeit auszuloten, um mir klarer, bewusster zu werden, wer und was ich war, was ich sein wollte und konnte.

Vor diesem Hintergrund hatte ich damit angefangen, kleine Dialoge und Spielszenen zu entwerfen, die im Sinn jenes Unsichtbaren Theaters in den unterschiedlichen Alltagssituationen zum Einsatz gebracht werden konnten: in der U-Bahn, auf der Straße, im Bus.

Und zugleich nahm ich mir für das Kommende vor, mit der eigenen Rolle und Identität mehr zu experimentieren, vieles auszuprobieren und dabei nicht nur eines der möglichen sondern viele Leben zu leben. . .

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