Ich erinnere mich noch daran, wie Ernesto an manchen Tagen mitten auf der Kreuzung von Wrangelstraße und Falckensteinstraße gestanden und mit rudernden Armen den Verkehr dort gelenkt hatte.
Dann waren die Autos dort nurmehr langsam und in Schrittempo und sanftem Bogen um ihn herum gefahren.
Und ihre Fahrer waren sorgfältig darauf bedacht gewesen, den schwankenden, balancierenden unversehens nach vorne, nach rechts oder links hin zur Seite ausbrechenden Schritten und Bewegungen Ernestos noch rechtzeitig auszuweichen und am Ende dann sichtlich erleichtert, wenn sie das Hindernis schließlich glücklich passiert hatten.
Nie aber habe ich damals dabei in einer der Mienen Zeichen von Ungeduld oder Ärger bemerkt.
Wer in diesem Moment jedoch zu Fuß unterwegs gewesen war, hatte sicherheitshalber die Straße in weitest möglicher Distanz zu ihm zu überqueren gesucht: aus Sorge darum, dabei nicht etwa unversehens mit Ernesto zu kollidieren, aus Scheu vor der unmittelbaren Begegnung und der Unwägbarkeit ihres möglichen Ausganges, nicht zuletzt vielleicht aber auch aus einer gewissen staunenden und überraschten Ehrfurcht heraus vor der Unbegreiflichkeit seines Tuns. . .
Ernesto, so erzählte man sich, sei irgendwann einmal vor Jahren aus der DDR in den Westen gekommen, nach West-Berlin und dann schließlich nach Kreuzberg.
Damals, hieß es weiter, noch im Osten müsse wohl irgendetwas Traumatisierendes mit ihm passiert sein, etwas dass er später dann nie mehr verkraftet habe und ihn zu dem gemacht habe, was er heute sei.
Manche glaubten dabei zu wissen, Ernesto habe drüben der Oppositionsszene angehört und sei deswegen viele Jahre lang dort im Gefängnis gewesen und vom Westen dann schließlich freigekauft worden. Andere hatten hingegen von Psychiatrie gesprochen.
Was tatsächlich geschehen war, aber konnte niemand mit Sicherheit sagen.