Wrangelstraße Teil 2

An Laternenpfählen und in Hauseingängen sieht man dicht an dicht hängend Zettel mit den Telefonnummern von Leuten, die nach freien Wohnungen in der Nachbarschaft suchen, nach Zimmern in Wohngemeinschaften, nach entlaufenen Katzen oder einem verloren gegangenen Schlüsselbund. Andere bieten Unterricht an in Spanisch, Englisch, Russisch, in Tai Chi oder Yoga, im Klavierspielen.

An den Häuserwänden kleben nebeneinander Plakate mit den Hinweisen auf Veranstaltungen, auf Konzerte oder Demonstrationen, auf Termine, die bevorstehen, oder die bereits längst verstrichen sind.

In der Bull Bar hat man die Hocker auf die Tische gestellt. Drinnen spricht der Wirt mit einem letzten Gast.

Alles das senkt sich in meine Wahrnehmung, mein Bewusstsein, aber findet darin noch keinen festen Grund. Ich gehe weiter. Bei Ladewig in der Oppelner Straße ist es im Ladeninneren bereits hell erleuchtet.

Durch die Schaufensterscheibe hindurch sehe ich durch die offene Tür in die Backstube, sehe ich wie der Bäcker gerade mit einem Blech hantiert. Sein Tag hat bereits lange vor meinem begonnen und wird vor meinem wieder enden. Ein Stück weiter bei Shisha ist geschlossen.

Am Schlesischen Tor überquere ich gegenüber vom Kato die Straße. Ich steige die Treppen zum Bahnsteig hinauf, warte auf den Zug.

An den Wochenenden, an den Samstagen und am Sonntagmorgen drängen sich hier die Menschen, die die Nacht irgendwo in den nahe gelegenen Bars und Clubs zugebracht haben. Es sind Paare und kleine Grüppchen, schwankend oder aber noch sicher und fest auf den Beinen, lachend, lärmend oder aber auch schweigsam, übernächtigt und blass.

In den vollen Waggons geht es lebhaft zu, laut. Drinnen mischen sich die verschiedenen Sprachen, Stimmen, Dialekte, überschneiden sich die Gespräche. Und es riecht darin zumeist unverkennbar nach Alkohol und nach Essen: nach Pizza oder aber nach Döner, den die Leute sich draußen am Imbiss gekauft haben und nun hier weiter essen . . .

Doch an Werktagen ist es hier zumeist eher ruhig und leer, auch jetzt.

Um mich herum sitzen die gleichen Menschen mit denen ich auch am Vortage gemeinsam in der U-Bahn gefahren bin.  Früh um diese Zeit liest noch niemand hier Zeitung. Der Zug hält am Görlitzer Bahnhof und fährt weiter zum Kottbusser Tor und zur Prinzenstraße.

Am Halleschen Tor muss ich umsteigen. Durch den lang gezogenen Gang gelange ich, unten angekommen, schließlich bis zur Treppe, die zum anderen Bahnsteig hinab führt.

Dort steht bereits eine Handvoll von Menschen und wartet auf den nächsten Zug. Ich schaue auf die Anzeigetafel. Meine Bahn kommt in einer Minute. Ich brauche nichts weiter mehr tun, als zu warten.

In Gedanken kehre ich unwillkürlich noch einmal zu den Worten zurück, die ich eben zuvor in der fahrenden U-Bahn gelesen habe, in der Werbung für Dr. Kawashimas Gehirnjogging: “Wissen Sie noch was Sie gestern im Fernsehen gesehen haben?“

Ich versuche mich daran zu erinnern, was gestern war. “Schon vergessen? “ , fragt Dr. Kawashima, “Verbringen sie mehr Zeit mit Ihrem Kopf . . .”

Mein Blick fällt auf die Wand gegenüber von mir auf der anderen Seite des Gleises, auf die großflächigen Plakate mit den unterschiedlichen Künstlerportraits, die dort angebracht sind, auf das Foto von Martin Kippenberger . . .


Wrangelstraße Fortsetzung

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