Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie die Kneipe geheißen hatte, in die Carolin uns geführt hatte. Ganz genau aber sehe ich immer noch vor mir, wie wir damals dort eingetreten waren. Und ich kann mich entsinnen, wie die dumpfe Wärme, nach der Kälte draußen, wie der Lärm der Musik und das Stimmengewirr dort im Inneren mir sogleich im Hereinkommen heiß ins Gesicht gestiegen waren
Michael war als letzter von uns hinein gegangen und hatte die Tür hinter uns geschlossen. Drinnen aber hatte man uns eher ungläubig und interessiert als mit Feindseligkeit gemustert und beäugt.
Im gedämpften Licht hatte ich Carolin zwischen all den anderen Gästen, die sich bei unserem Erscheinen unweigerlich nach uns umgedreht hatten, nicht gleich erkannt.
Auf der Suche nach ihr war mein Blick einmal durch den gesamten Raum gestreift.
Und wie betäubt von der stickigen Luft darin, vom Rauch und dem Bierarom und den nahen Gesichtern um mich herum an den Tischen, der Theke, hatte ich alles das nur am Rande registriert: die stark nach gedunkelten Wänden, die Decke, die mit Luftschlangen und Luftballons dekoriert worden war, die vergilbten Gardinen . . .
Trotz der lauten Musik war eine spürbare Stille dort eingetreten. Dann endlich hatte ich Carolin entdeckt, die am hinteren Ende der Theke auf uns wartete, und sie hatte mich lächelnd angesehen als ich gleich darauf vor ihr stand : „Na. Sag mal, wollen wir nicht was zu trinken bestellen?“
Steffen hatten um diese Zeit herum damals gerade damit begonnen, ein “Klangarchiv“ für das von ihm geplante “Geräuschemuseum” anzulegen und in seiner freien Zeit überall an den unterschiedlichsten Orten angefangen Töne und Geräusche zu sammeln, draußen auf der Straße, in der U-Bahn . . .
Während ich also noch nach Carolin Ausschau gehalten hatte, und während Martin und Michael immer noch unschlüssig vorn am Eingang verharrten, hatte Steffen kurzer Hand den zuvor im Verlauf der Performance von ihm benutzten Rekorder aus seiner Tasche hervorgeholt und damit begonnen, mit dem Mikrofon “Originaltöne“ einzufangen, wie ich plötzlich bemerkte.
Gleich darauf hatte ich einen raschen Blick mit Carolin gewechselt und mich dann zu der Wirtin gewandt, die das Ganze argwöhnisch verfolgte, und ich hatte ihr, wie auch immer ich darauf kam, ohne Zögern erklärt, dass wir Aufnahmen machen würden für eine Sendung zur Silvesternacht im Sender Freies Berlin . . .
Ich erinnere mich noch an den Blick mit dem Carolin mich in diesem Moment damals angesehen hatte, fragend, forschend und womöglich zum ersten Male seit wir uns kannten, wirklich überrascht.
Die Nachricht, dass “das Fernsehen“ gekommen sei, sollte sich unterdessen in Windeseile um uns herum verbreiten. Offenbar schien es niemand aufzufallen oder zu wundern, dass wir gar keine Kamera bei uns hatten, und dass es sich bei dem Aufnahmegerät, das Steffen sich um die Schulter gehängt hatte, um einen ganz gewöhnlichen Kassettenrekorder handelte.
Stattdessen hatten wir uns unversehens im Zentrum einer allgemeinen und freudigen Erwartung wiedergefunden. Ich aber hatte angesichts der naiven Begeisterung um uns herum bereits leise Gewissensbisse zu verspüren begonnen . . .