War die Wrangelstraße auch in jener längst vergessenen Zeit bereits also schon keine schöne Straße gewesen, so war sie damals doch, und darin würde mir sogar Martin vielleicht zustimmen können, voll von jener wundersamen Substanz, die die Grundlage bildet der Schönheit, voller unerzählter Geschichten und unerzählter Geschichte. . .
Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen, dort Geborene und Aufgewachsene, später Zugewanderte, Arbeitslose und Berufstätige, Deutsche und Migranten türkischer oder kurdischer Herkunft, Rentner und Studenten, Autonome und Punks, hatten dort, wie gesagt, eher neben einander her gelebt, ihre unterschiedlichen Kulturen, sich dabei, wie es schien kaum berührt.
Dennoch grüßte man sich dort häufiger als es in großen Städten sonst üblich ist, wenn man sich auf der Straße begegnete.
Man erkannte sich wieder: die Verkäuferin aus dem Schreibwarenladen, die in plötzlicher Verwandlung statt im Kittel in Alltagskleidung und Mantel auf der Oppelner Straße Richtung U-Bahn zum Schlesischen Tor eilte, der Dönermann aus dem winzigen Wohnwagenimbiss gegenüber des Hauses, in dem ich damals lebte, dessen Miene draußen und bei Tage noch eingefallener, fahler, grauer wirkte als im nächtlichen Kunstlicht und Dämmerschein seines Wagens, die Frau von der Reinigung, und die kleinwüchsige Blumen-Gisela mit ihren ebenfalls kleinwüchsigen beiden Söhnen. . .
So bot die Wrangelstraße mit ihren Auslagen von Obst und Gemüse, Grünpflanzen und Blumen, Kleidung, Hausrat und Ramsch draußen vor den Läden tagsüber nicht allein das Szenario eines lebhaften, bunten und zugleich ärmlich wirkenden Marktplatzes und Basars, sondern hatte im gleichen Zug dabei auch etwas kleinstädtisch anmutendes, ja beinahe schon dörfliches.
Wer aber, wie auch immer dort hingelangt war, hatte gleichzeitig damit auch, wie es mir damals schien, ein von niemanden mehr infrage gestelltes Anrecht erworben, da zu sein, da zu bleiben: als derjenige und als das was er war. Und damit auch als das, was er nicht war. . .