Kreise – Fortsetzung Teil 3

Was bringt Menschen dazu ihre eigene Wirklichkeit und Geschichte, die politischen und sozialen Verhältnisse, unter denen sie leben, verändern zu wollen, was hält sie davon ab?

In Der eindimensionale Mensch hatte Herbert Marcuse die Freiheit von Mangel als konkrete Substanz aller Freiheit bezeichnet und zugleich die Befriedigung der vitalen Bedürfnisse nach Nahrung, Kleidung und Wohnung auf dem erreichbaren Kulturniveau zur Vorbedingung für die Verwirklichung aller Bedürfnisse erklärt.

Der Charakter menschlicher Bedürfnisse, die über das biologische Niveau hinausgehen, sei dabei historisch bestimmt.

Falsch seien dabei diejenigen Bedürfnisse, die dem Individuum, so Marcuse, durch partikuläre gesellschaftliche Mächte, die an seiner Unterdrückung interessiert sind, auferlegt werden und die harte Arbeit, Aggressivität, Elend und Unterdrückung verewigen. . .

Die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen wahren Bedürfnissen auf der einen Seite und den repressiven und falschen Bedürfnissen auf der anderen findet auch in den späteren Losungen und politischen Aktionen der Studentenbewegung ihren Niederschlag. Und bleibt insgesamt problematisch.

Sie berührt- gerade auch im Hinblick auf die Außerparlamentarische Opposition der 68er-Bewegung – einen wesentlichen und zugleich wunden Punkt: Denn mit der Freiheit vom Mangel in der westlichen Industriegesellschaft war ja eben jene konkrete Substanz aller Freiheit bereits vorhanden, ohne dass sich daraus jedoch das Bedürfnis nach einer weitergehenden sozialen Befreiung bei der Mehrheit der Menschen entwickelt hatte.

So stand mit einem Mal, anders noch als bei Marx, nicht mehr länger die materielle Unterversorgung der Arbeiterklasse innerhalb der Gesellschaft im Focus der Kritik, sondern in gewisser Weise sogar deren Gegenteil: die Bedürfnisse, die von dieser entwickelt wurden. Und mit ihnen die Auswirkungen des Konsums.

Die Menschen erkennen sich in ihren Waren wieder; hatte Marcuse geschrieben, sie finden ihre Seele in ihrem Auto, ihrem Hi-Fi-Empfänger, ihrem Küchengerät. . .

Macht kaputt was euch kaputt macht, hatte die Berliner Band Ton Steine Scherben 1970 gesungen und damit die Konsum- und Gesellschaftskritik der Studentenbewegung auf den Punkt gebracht. Zwei Jahre zuvor bereits waren in Frankfurt am Main Brandanschläge auf zwei Kaufhäuser verübt worden: die Geburtsstunde der späteren RAF.

Der in diesem Zusammenhang häufig gebrauchte Begriff des Konsumterrors war indessen auch damals bereits innerhalb der Linken keineswegs unumstritten gewesen. So hatte auch Peter-Paul Zahl sich in ironischer Anspielung darauf in den Glücklichen für eine andere Form der Verteilung ausgesprochen, einen besseren Zugang zu den Waren für Alle, anstatt diese zu zerstören.

Und knapp zwei Jahrzehnte nach jenen Kaufhausbränden in Frankfurt hatten Anwohner und Autonome in Berlin-Kreuzberg gemeinsam in der Nacht des 1. Mai 1987 den Bolle-Markt an der Wiener-Straße zunächst sorgsam bis in die letzten Regale und Kühlräume hinein ausgeräumt und geplündert, bevor dieser zuguterletzt leer in Brand gesetzt worden war.

Doch ich greife erneut der Erzählung voraus. . .

Kreise: Teil 1

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