Von Genialen Dilettanten und anderen wunderbaren Menschen Teil 6

Unbemerkt von den übrigen Gästen hatten wir wenig später die Kneipe verlassen und wir waren von dort aus das kurze Stück bis zu der Stelle gelaufen, an der Michael sein Auto, einen alten Opel Kadett, geparkt hatte.

Martin, Steffen und Michael hatten hinten auf der Rückbank des Wagens Platz genommen und sich dort zusammen gedrängt. Carolin aber war auf der Beifahrerseite eingestiegen und saß vorn neben mir.

Kennst du dich mit der Gangschaltung aus?“, hatte Michael mich gefragt und sich zu mir nach vorne gebeugt. „Ich denk schon.“ „Das da ist der Scheibenwischer und da vorne das Licht . . .“ „Ich weiß“, hatte ich ihm geantwortet. „Und wo müssen wir jetzt genau hin?“

Erst einmal in Richtung Kreuzberg, und dann immer nur geradeaus an der Hochbahn entlang bis zum Schlesischen Tor. “

Außer einigen Taxis waren um diese Zeit kaum noch andere Autos unterwegs gewesen. Während wir die fast leere Entlastungsstraße schnell und zügig entlang fuhren, hatte ich das Autoradio angemacht, in dem, wie ich mich noch genau entsinnen kann, gerade New Years Day von U2 gespielt wurde.

Hinter mir hatte ich den besorgten Blick Michaels im Rückspiegel aufgefangen, der von seinem Platz, wie mir schien, aus bemüht war, den Zeigerstand auf dem Tacho im Auge zu behalten.

Carolin indes schien die Geschwindigkeit, mit der wir fuhren, nicht weiter zu beunruhigen. Und  genau wie ich hatte sie aus dem Seitenfenster des Wagens heraus auf den matt beleuchteten und mit einem Mal einsam vor uns auftauchenden alten Reichstag geblickt, der noch im Westen stand und zum West-Teil Berlins gehörte, dessen Rückseite jedoch schon an die Mauer grenzte.

Auf seiner Vorderfront aber war noch immer die seltsam melancholisch anmutende Losung der Vergangenheit zu lesen gewesen.

Und auf seinem Dach hatte man die frühere schwarzrotgoldene und nunmehr bundesdeutsche Fahne angebracht: Zeichen einer ungelösten Vergangenheit und Geschichte, eines früheren, niemals eingelösten Versprechens . . .

Im Vorüberfahren hatten wir einen Augenblick über das Brandenburger Tor sehen können, das wiederum schon zum Osten gehörte und seit vielen Jahren bereits abgesperrt und unpassierbar war. Dann, nur ein kurzes Stück weiter, hatte ich das Schild in Richtung Kreuzberg bemerkt, an dem wir abbiegen mussten und ich hatte, auf Carolins Wunsch, an der Tankstelle am Ufer gehalten, die auch Nachts über immer geöffnet war.

Dort war Carolin aus dem Wagen gesprungen und hatte Süßigkeiten und Schokolade gekauft und dazu eine Flasche Lutter und Wegner. . .

Unterdessen war die Musik von U2 zu Ende gegangen. Carolin hatte sich etwas vorgebeugt und im Radio einen anderen Sender gesucht und im Anschluss daran hatte sie eine Zigarette zu drehen begonnen, diese angezündet und mir danach herüber gereicht:“Möchtest du?“

Rauchend hatte ich dann und wann bei der  Fahrt von der Seite aus einen kurzen Blick zu ihr hin geworfen.

Carolin jedoch, die nun auch für sich selbst eine Zigarette gedreht hatte und ebenfalls rauchte, hatte schweigend aus dem Fenster geblickt: unbekannt, schön und stolz . . .

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