Osram Teil 8

Von den anderen Menschen, die wie ich am Band arbeiteten, habe ich damals nie jemanden näher kennen gelernt, weder in jenen Monaten bei Osram, noch anderswo. Lag das an einer fehlenden Neugier, einem mangelnden Interesse? An der Tatsache, dass mein sonstiges Leben sich zu sehr von ihrem unterschied und im Gegenzug ihres von meinem, so dass man sich einfach nichts zu sagen und mitzuteilen gewusst hatte?

Lag es möglicherweise daran, dass ich seinerzeit als Aushilfe und Student in ihren Augen als quasi privilegiert gegolten hatte? Als jemand, der nach einiger Zeit ohnehin wieder fortgehen und in seinem späteren Leben etwas ganz anderes machen und sein würde, als sie selbst? Als jemand also, der nicht wirklich dazu gehört hatte?

Oder hatte darin nur ein Kennzeichen der Vereinzelung und Entfremdung durch eben jene Art der Arbeit selbst gelegen?

Ich erinnere mich noch an Hilde, mit der ich damals knapp ein halbes Jahr lang zusammen in der Spirituosenfabrik gearbeitet hatte, und die während der Schicht stets den vorderen Teil des Bands überwacht hatte, während ich für den hinteren zuständig gewesen war.

Ich erinnere mich daran, dass sie morgens am Schichtbeginn immer schon vor mir da gewesen war, dort gewartet hatte, in einem ärmellosen kurzen Kittel, den sie während der Arbeit stets trug.

Und ich weiß noch, dass ihr mögliches Alter mir damals ebenso schwer bestimmbar erschienen war, wie die Farbe ihres Haares, die, je nach Lichteinfall, irgendwo zwischen rostrot und lila changiert hatte.

So hatte sie während unserer Schicht vielleicht zwanzig Meter entfernt von mir auf ihrem Hocker gesessen, die Beine meist übereinander geschlagen, durch die dunklen Gläser ihrer Brille auf das Band vor ihr schauend. Und so hatte auch sie mich von ihrem Platz aus gesehen, Schicht für Schicht, Tag für Tag.

Doch außer „Morgen“ oder „Mahlzeit“ zu sagen, wenn sich früh oder später am Mittag unsere Wege gekreuzt hatten, haben wir in der ganzen Zeit, glaube ich, nie ein Wort miteinander gewechselt.

Bei Osram aber hatte unweit von meinem Platz eine Gruppe von Leiharbeitern gearbeitet und während einer der Maschinenpausen, in denen das Band eine Weile lang stillgestanden hatte, hatte ich versucht, ein Gespräch mit ihnen anzuknüpfen

Doch die Arbeiterinnen und Arbeiter, die über Leihfirmen und auf Zeit damals bei Osram beschäftigt gewesen waren, waren innerhalb der übrigen Belegschaft isoliert gewesen.

Und gewohnt unter sich zu bleiben, hatte mein plötzliches Erscheinen bei ihnen eher Unbehagen und Misstrauen geweckt, wie ich deutlich zu spüren geglaubt hatte.

Später wurde mir erzählt, dass manche Zeitarbeitsfirmen den Kontakt ihrer Mitarbeiter zu den fest angestellten Kollegen bewusst einzuschränken versuchen und zugleich ihren Angestellten verbieten, anderen gegenüber über die Höhe der ihnen ausgezahlten Stundenlöhne oder ihre tatsächlichen Arbeitsbedingungen dort zu sprechen. . .

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