Brennende Autos

Was vom Krieg nicht zerstört worden oder was in den Jahren danach wieder aufgebaut worden war,- was nicht während der Sechziger und der Siebziger Jahre im Zuge der Stadtteilsanierung abgerissen wurde oder aber von Hauseigentümern und Immobiliengesellschaften aus Spekulationsgründen dem Verfall überlassen und unbewohnbar gemacht worden war, sollte zu einer Zuflucht werden:  einem Ort für all diejenigen, für die es keinen anderen gab.

Einwanderer, die hier Arbeit gesucht hatten oder Schutz vor politischer Verfolgung, Kriegsdienstgegner, die vor ihrer drohenden Einberufung in die Bundeswehr geflüchtet waren und hier Unterkunft fanden, Frauen und Männer, die hierher gekommen waren, um in einer Atmosphäre des Aufbruches und der Toleranz offen und ungestört ihre gleichgeschlechtliche Identität ausleben zu können, junge Menschen, die der Rückständigkeit und der Enge ihrer westdeutschen Heimatstädte entflohen waren, um in Hausprojekten, Wohngemeinschaften und Kommunen zusammen zu leben, Leute, die in aufgegebenen Werkstätten und in leer stehenden Fabriketagen Raum für neu gegründete und in Selbstverwaltung geführte Kleinbetriebe und Kollektive gefunden hatten, Trebegänger und Aussteiger, Träumer und politische Aktivisten.

So war eine Art von Insel entstanden inmitten der Insel, jenes damaligen ringsherum von der DDR, von der Mauer umsäumten West-Berlin.

Kreuzberg, hatten einige auf dem Höhepunkt der Hausbesetzungen Anfang der Achtziger Jahre kurze Zeit lang geglaubt, sei bereits eine Art von befreitem Gebiet, von befreiter Gesellschaft, ein vom Staat, von der übrigen Welt nicht mehr kontrollierbares quasi eigenständiges Territorium.

Kreuzberg, hatten andere später mutmaßt, werde nach und nach zu einer Art Ghetto amerikanischen Vorbildes werden:  einem Zentrum des Drogenhandels und der Straßengewalt, kontrolliert und beherrscht von einander bekämpfenden rivalisierenden ausländischen Jugendgangs. Und auch sie sollten sich darin irren.

Kreuzberg wurde gerne als Beispiel für ein funktionierendes Zusammenleben von ganz unterschiedlichen sozialen Gruppen angeführt, von Ausländern und Deutschen , von hier aufgewachsenen, geborenen und von zugezogenen Menschen, ein gesellschaftliches Idyll, das es jedoch in Wirklichkeit so niemals war.

Eher vielleicht ein Nebeneinander vieler paralleler Kulturen und Subkulturen, Lebenswelten und Szenen, die sich an manchen Stellen überschneiden, sich im Alltag berühren, hier und da miteinander verschmelzen. . .

Und zugleich ein Gebiet, das auch Möglichkeiten, Raum und Schutz bot für Menschen mit wenig Geld oder am sozialen Rand: Arbeitslose und Geringverdiener, Menschen, die von knapp bemessenen Renten leben müssen oder ungewissen Einkünften, Kleindarsteller mit Gelegenheitsengagements, Künstler, Musiker und Studenten.

Wird all das, was die wechselnden politischen und historischen Gezeiten überstanden hat, Spekulation und Kahlschlagsanierung, die behutsame Stadterneuerung und die Berliner Linie, wird dies nun nach und nach von einer unaufhaltsam voran schreitenden Erosion zerstört werden, dem von außen nach Kreuzberg einströmenden Kapital und der damit einhergehenden Verdrängung vorhandener sozialer Strukturen?

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