Shisha

Ich hatte Martin zufällig bei Shisha getroffen, unserem Spätkauf in der Oppelner Straße, und da keiner von uns beiden etwas Dringendes zu erledigen hatte und der Abend noch immer spätsommerlich warm war, hatten wir uns noch ein Bier dort besorgt und uns draußen an einen der Tische gesetzt.

Am Nachbartisch aber hatte sich wieder die kleine und unvermeidliche Schar von Leuten versammelt, die ich nahezu immer dort antraf wenn ich etwas bei Shisha einkaufte, ganz gleich um welche Zeit.

Ich glaube, dass sie damals zum Zeitvertreib Wetten darauf abschlossen, was die jeweiligen Kunden, die hineingingen, drinnen einkaufen würden, denn ich bemerkte im Hinausgehen, wie die gesamte Runde am Tisch interessiert auf die Flasche in meiner Hand blickte, sich bedeutungsvoll ansah und wie einer von ihnen anschließend enttäuscht mit den Achseln zuckte: „Weizenbier. . .“

Wer zum ersten Male zu Shisha kommt und den Laden betritt mag darin vielleicht nichts Besonderes entdecken, denn es handelt sich dabei scheinbar nur um einen ganz gewöhnlichen Kiosk, wie es sie um die Wrangelstraße herum und im übrigen Kreuzberg überall und in großer Anzahl gibt.

Neben Zeitschriften, Zigaretten, Süßigkeiten und Getränken bekommt man dort die übliche kleine Auswahl an Dingen des täglichen Bedarfs, ein paar Lebensmittel, Kaffee, Zucker und haltbare Milch.

Ungewöhnlich erscheinem einem vielleicht nur die Wasserpfeifen, die man gleich beim Hereinkommen auf dem Regal hinterm Tresen sieht, und die man ebenfalls dort erwerben kann. Doch sie stehen dort, wie ich mitunter denke, mehr zur Zierde und zum Zwecke der Dekoration und ich habe dort zumindest nie jemanden eine kaufen sehen. . .

Das Eigentümliche, das Besondere aber an Shisha liegt im Zusammentreffen der Menschen, die dort ein- und ausgehen, jener wundersamen Atmosphäre, die mich jedesmal wenn ich dort bin umfängt und mich unweigerlich an Auggies Tabakladen in “Smoke“ denken lässt.

Ein Ort, an dem sich die Schicksale, Wege und Geschichten der Menschen überschneiden, an dem Nachrichten ausgetauscht werden, Schach gespielt, diskutiert wird, geklatscht.

Ein Ort, an dem sich die verschiedenen Gezeiten, in denen das Leben im Kiez sich vollzieht, genau ablesen lassen, der am Tage von den Anwohnern aus der Nachbarschaft und den Menschen die hier arbeiten aufgesucht und des Nachts von den unterschiedlichen Leuten angesteuert wird, die um diese Zeit noch unterwegs sind: Leute, die sich auf dem Heimweg befinden, aus den umliegenden Kneipen und Bars kommen oder sich gerade erst auf dem Wege dorthin befinden.

Ein Ort also, der das gesamte kleine Universum des Wrangelkiezes in sich aufnimmt und abbildet.

Und nirgendwo sonst, in keinem anderen Geschäft, habe ich jemals jene Freundlichkeit erlebt, mit der man bei Shisha selbst die Flaschensammler empfängt, die mit ihren Handwagen und prallgefüllten Tüten, ihren irgendwo von der Straße und aus Mülleimern aufgelesenen Flaschen hineinkommen, um ihr Pfandgeld zu kassieren, ohne dabei wie sonst zumeist auf Mißfallen zu stoßen.

Wir hatten uns bereits ein paar Monate lang nicht gesehen, obwohl Martin nicht weit von mir entfernt in der Lübbenerstraße wohnt. Immer wieder hatte ich in der Zwischenzeit daran gedacht, ihn in nächster Zeit einmal anrufen und es dann doch hinausgeschoben und vergessen, wie das eben so ist.

So wußte ich damals auch nicht, mit was für einer Art von Projekt er sich gerade befasste.

Über etliche Jahre hinweg und solange wir uns bereits kannten, hatte er unentwegt an seinen wechselnden Geschichten gearbeitet. Zunächst waren es Kurzgeschichten und Romane gewesen, irgendwann später Drehbücher, an denen er schrieb, unbeirrbar, stets aufs Neue begeistert, wenn auch ohne Erfolg, ohne messbare Resonanz.

Dann aber, als eigentlich niemand mehr daran geglaubt hatte, hatte sich all das mit einem Schlage verändert. Eine Filmproduktionsfirma hatte sich für einen seiner Stoffe, eine Krimigeschichte, interessiert und das Buch war tatsächlich verfilmt worden, wenn auch nur als Fernsehfilm und nicht fürs Kino, wovon Martin anfänglich geträumt hatte. . .

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Erster Teil und getagged , , , . Bookmarken: Permanent-Link. Post a comment oder ein Trackback hinterlassen: Trackback-URL.

Kommentar hinterlassen

Ihre E-Mail wird niemals veröffentlicht oder verteilt. Benötigte Felder sind mit * markiert

*
*